Autobiografische Notiz von Erich Waske                                                          

Mein Leben.

Bei Berlin am 24. Januar 1889 als Sohn des Kaufmannes Ernst Waske und seiner Frau Hedwig geboren; mit Schulbeginn ins Innere der Großstadt übergesiedelt, atmete ich frühzeitig ihre giftige Atmo­sphäre. Gott sei dank hat die Schule auch ihre Ferien, und so kam ich von klein auf im Sommer ein paar Wochen ans Meer, dessen weiter Horizont mir die Kindheit verklärte. Der letzte Ferientag war immer trostlos, noch mehr der letzte und allerletzte Blick aufs Meer.

 

Frühzeitige Liebe zum Zeichnen; jeder Gegenstand reizte zur Wieder­gabe. So prägte sich unbewußt die physische Formen weit ins Gedächt­nis ; ein ständiges Buchstabieren. In der Schule wurde der Zeichensaal zur Kirche: fieberhafte Erwartung und Ausnützung der zwei Stunden wöchentlich. Mit Primareife packte ich endgültig die Schulmappe; gleich im Anschluß ging ich, trotzdem mich mein Vater gern als Kaufmann gesehen hätte, da er die Unsicherheit einer Künstlerexistenz befürchtete, zur Hochschule für bildende Kunst in Charlottenburg. Dort, 1906-1908, hauptsächlich Porträt «gepfriemt», bis alles Leben sorgfältig daraus vertrieben. Das Wertvollste war die Bekanntschaft eines bald darauf verstorbenen älteren Freundes, dessen menschliche und geistige Höhe vorbildlich war in der größten Kunst: wahrhaft zu leben.

 

Mit dem Gefühl, daß der einzige Lehrmeister nur die Konzentration auf die in uns lebende Kraft Gottes sein kann, verließ ich die Akademie. 1909 ein halbes Jahr in München, mehr kontemplativ als malend. Plötz­lich durchzog mich ein Ahnen von dem Geist der neuen Kunst; aus dem Banne impressionistischer Naturanschauung befreite mich die große Ruhe, die mich während eines Sommeraufenthalts in Schleißheim um­fing. Mein inneres Auge erwachte; das Blau des Sommerhimmels ver­tierte sich, glühendes Orange brannte auf den Kornfeldern. Zum ersten Male versuchte ich, die Sonne direkt zu malen, womit sich gleichsam von selbst eine Abkehr vom Impressionismus ergab. Aber hilflos gegen­über neuen Problemen, entführte mich die Wirklichkeit, meinem Wunsche entsprechend, auf den Kasernenhof. Ein Jahr, 1909—10, bei der Infanterie m Braunschweig. Die Strapazen des Exerzierplatzes und Manövers — ein liebliches Idyll angesichts späterer Kriegserlebnisse! Während meiner Dienstzeit hatte sich in Berlin die «Neue Sezession» zu einer Ausstellung von Arbeiten zusammengefunden, die von der alten Sezession zurückgewiesen waren; auch ich war stolz mit einer kleinen Arbeit vertreten: meine erste Ausstellung! 1912 folgten dann ein paar bunte Bilder auf der «Juryfreien». Im Anschluß Reise nach Paris zu halb­jährigem Aufenthalt. Angesichts der erdrückenden Gewalt des Louvre folgt scheinbarer Rückschlag zur Natur. Graue Vorfrühlingsstimmungen über dem malerischen Gemäuer altpariser Hinterhäuser, Gartenhöfe usw. reizten zu minutiöser Darstellung. Ich lebte sehr zurückgezogen, gegen das «Dome cafe», wo die Maler saßen, empfand ich lebhafte Abneigung; lieber genoß ich auf der anderen Seite der Seine den Anblick des großen Pariser Lebens mit seinem unendlich prickelnden Reiz. In Erinnerung an meinen Aufenthalt im cafe malte ich später in Berlin die «Brasserie» im größeren Format, mangels Studien aus dem Gedächtnis; hauptsäch­lich, um zu sehen, wie weit mir die Natur im Kopf haften geblieben. Allmählich aber gewannen wieder die visionären Vorstellungen die Oberhand. Immer wieder packte mich das Sonnenproblem; im Zu­sammenrauschen von Wolken, Sonne, Meer, erlebte ich Sphärenmusik. Unterbrechungen durch militärische Übungen waren gerade vorüber, so daß ich an ungehinderte Entwicklung glaubte, da kam der große Völkerwahnsinn zum Ausbruch. Die ersten scharfen Schüsse des Welt­krieges lösten in mir die unheimliche Nervenspannung der Mobil­machung. Nun folgten Monate rasenden Erlebens: die schweren Kämpfe im Osten gegen russische Übermacht. Jeder Sonnenaufgang ein Gebet, jede Stunde Leben ein Gottesgeschenk, wie nie zuvor empfunden. Angesichts von so viel Blut und Tod war die erhabene Reinheit und Teilnahmlosigkeit der Natur oft von niederschmetternder Gewalt.

 

Bis 1917 gänzlicher Stillstand künstlerischer Produktion; der In­fanteriedienst mordete hohnlachend jede individuelle Regung von Herz und Geist. Nach der Heimkehr Fortsetzung der abgebrochenen Ent­wicklungslinie. Seit meiner Verheiratung 1918 geht die Arbeit weiter, nun endlich mit großer innerer Freude und Entspanntheit; wohin — dafür möge Gott sorgen.  Vielleicht führt er mich mal in Gegenden, die meiner Vorstellung gemäß. Kaukasus? Afrika? Südamerika?  Vor­läufig trübe Aussichten.

 

 

             Scan aus Joachim Kirchner, Erich Waske, 1921